Erfahrung

Im Herbst 2012 nahm ich erstmals an einem Wochenendkurs der Klangwelt Toggenburg teil: «Johle und Gradhebe», oberhalb von Wildhaus im Kulturhotel Seegüetli. 25 Personen befanden sich in dem Raum, zusammengewürfelt, mit den unterschiedlichsten Hintergründen, was Leben, Singen, Musik, Jodeln, Naturjodeln gar betraf. Und das Wunder geschah: Alle machten ähnliche Erfahrungen – tiefstes Berührtsein irgendwo «drinnen», sträubende Härchen, Schauder von Fuss bis Kopf, Tränen da und dort.

Am 28.11.12 habe ich notiert: Das Wochenende «Zaure und Gradhäbe», Toggenburger Naturtonjodeln, im «Seegüetli», mein zweiter Kurs innert weniger als einem Monat, war sehr bereichernd. Es ist kaum zu fassen, auf welche einfache, natürliche Weise bei den Kursteilnehmern Freude entsteht … Ich schaue meinem Stimmpartner Bernhard beim Singen kurz in die Augen und sehe ein freudiges Leuchten …

Dabei war das, was wir unter Anleitung von Hans-Jakob Scherrer, dem begnadeten «Lehrer», taten, ausgesprochen «primitiv». Er stimmte mit uns einen Vierklang an, mit dem Grundton und seiner Oktave sowie Terz und Quart in der sog. I. Stufe. Das war noch einigermassen «ungefährlich». Beim Wechsel auf die V. Stufe – bei A-Dur E, Gis, D, E – war es um uns geschehen, es schüttelte uns, wir wussten nicht, was mit uns geschah...  

Ähnliches ereignete sich beispielsweise bei einem ganz einachen vierstimmigen Kuhreihen. Schon bei der zweiten Note brachen die Dämme – es strömte, es floss, es «kitzelte». Aber was um alles in der Welt habe ich als Stadtemigrant mit einem Kuhreihen aus dem 15. Jahrhundert zu tun? Die Fragerei fand reichlich Nahrung.

Und es gab eine für mich wirklich grosse Überraschung. Im «theoretischen» Teil erklärte uns Hans-Jakob die Grundzüge des Grundtons und seiner Obertonreihe. Da begegnete mir eine Welt, die ich – durch eine andere Tür – schon vor fünfzehn Jahren betreten hatte... die «pythagoräische» Naturharmonik.

Kein Wunder, dass ich mich in dieser Klangwelt sofort heimisch fühlte.